Anwendung in der Praxis

Die fünf Maßnahmen im Einzelnen

1.    Berücksichtigung des Kodex im Rahmen der Unternehmenspolitik und bei der Festlegung von Unternehmensgrundsätzen.

Jedes Unternehmen handelt innerhalb rechtlicher Rahmenbedingungen nach seinen Wertvorstellungen. Interne Richtlinien bestehen aus schriftlichen und mündlichen Arbeitsanweisungen sowie ungeschriebener Gesetze, die die Unternehmensethik widerspiegeln. Extern ausgerichtet sind Unternehmensgrundsätze ein Instrument der Öffentlichkeitsarbeit.

Unternehmensgrundsätze sollten folgende Bestandteile des Kodex beinhalten:

  • Würde und Respekt im Umgang mit Kunden, Lieferanten, Mitarbeitern und Erotikdienstleistern.
  • Konsequente Ablehnung jedweder Form von Zwang und Ausbeutung. Hinweisen auf Verstöße ist – unter dem Schutz der Belange von Opfer und Zeugen – nachzugehen.
  • Alle im Unternehmen Tätigen erfüllen das gesetzlich vorgeschriebene Mindestalter.

(Im Bedarfsfall können wir bei der Formulierung von Unternehmensgrundsätzen Hilfestellung leisten.)

2.    Sensibilisierung und Schulung der Mitarbeiter.

Menschenhandel darf nicht länger ein Tabu innerhalb der Erotikbranche sein. Täter und Täterinnen setzen darauf, dass „unklare“ Sachverhalte in Erotikbetrieben nicht thematisiert werden; sei es aus Scham oder um keine falschen Verdächtigungen auszusprechen. Behörden bemängeln, dass sie bei Ermittlungen auf eine „Wand des Schweigens“ treffen. Der Kodex soll die Wand des Schweigens aufbrechen. Von zentraler Bedeutung ist der wertneutrale Umgang mit der Thematik des Menschenhandels, frei ethischer- und moralischer Aspekte.

Zur Schulung der im Erotikgewerbe Tätigen wurde ein E-Learning-Kurs entwickelt. Die Kurse haben eine modulare Struktur und informieren, wie mit vielfältigen Möglichkeiten in unterschiedlichen Tätigkeitsfeldern Maßnahmen des Schutzes vor Menschenhandel umgesetzt werden können. Die Kursmodule können in kurzer Zeit (ca. 20 min) am Arbeitsplatz oder an einem beliebigen anderen Ort mit Internetzugang absolviert werden. Videoclips und interaktive Einheiten sorgen für einen ansprechenden Ablauf, ohne dabei auf schockierende Bilder zurückzugreifen. Das verwendete Material liefert Hintergrundinformationen darüber, warum Ausbeutung und Zwang geschehen, welche Zusammenhänge mit dem Erotikgewerbe bestehen und was die im Erotikgewerbe Tätigen im Rahmen ihrer Arbeit präventiv tun können. Dafür wurden spezifische Übungsbeispiele für die Arbeit in Erotikbetrieben, für Mitarbeitende von Werbeplattformen (Anzeigenvertreter/Fotografen), für Mitarbeitende in Sexshops und andere Entscheidungsträger entwickelt.

3.    Informationsvermittlung an Erotikdienstleistende und deren Kunden.

I.d.R. sind Erotikdienstleistende selbständig. Weisungen, die gegen die sexuelle Selbstbestimmung, wie z.B. unfreie Manipulation am eigenen Körper, unfreie Wahl des Sexualpartners und der Sexualpraktiken sind verboten. Ebenso sind wirtschaftliche und persönliche Abhängigkeiten verboten. Dabei ist irrelevant, ob es sich um Tätigkeiten vor der Kamera im Rahmen von s.g. Internet-Live-Chats, oder um sexuelle Dienstleistung in einer Prostitutionsstätte handelt. Der Betrieb hat die Erotikdienstleistenden mit geeigneten Maßnahmen wie Flyern oder Informationsbroschüren aufzuklären.

Kunden nehmen einen besonderen Platz ein, denn sie stehen oft als einzige unbeobachtet im direkten Kontakt mit potentiellen Opfern. Wie Kunden ihren Beitrag gegen Menschenhandel leisten können, wird ihnen in einem eigenen E-Learning-Modul erläutert. Zusätzlich besteht die Möglichkeit, die Kunden mit Flyern in den Betrieben über Menschenhandel aufzuklären.

4.    Aufnahme von Klauseln in Verträge, welche die gemeinsame Ablehnung von Ausbeutung, Zwang und Menschenhandel deutlich machen.

Ob in Präambeln oder als separate Paragraphen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) – bei Verträgen mit Erotikbetrieben ist klarzustellen, dass jedwede Form von Ausbeutung, Zwang und Menschenhandel abgelehnt wird. Das bedeutet, wenn erwiesenermaßen eine Vertragspartei dagegen verstößt, ist die Geschäftsbeziehung zu beenden.

5.    Kooperation mit Institutionen, die Betroffene beraten.

Was tun, wenn man selbst Opfer sein könnte, oder man ein potentielles Opfer kennt? Es nicht für sich behalten! Es gibt spezialisierte Beratungsstellen, die sich dieser Fälle annehmen. Sie können dort anonym (auch mit unterdrückter Telefonnummer) und kostenlos anrufen. Die Mitarbeiter dort sind geschult, gerade wie mit „vagen Vermutungen“ umzugehen ist, und weitere Schritte einzuleiten.
An wen sie sich wenden können finden sie unter: Bedenken melden