Über Tabus sprechen

Über Tabus sprechen

Warum ist Menschenhandel zum Zweck der sexuellen Ausbeutung ein Tabu innerhalb der Erotikbranche? Darüber sprach der Kodex mit dem Web-Cam-Girl und Sexarbeiterin Andrea (Name geändert) aus Berlin.


Artikel-Interview-Tabu

KODEX: Hallo Andrea, kommen wir gleich zur Frage unseres Interview-Titels, warum ist das Thema Menschenhandel ein Tabu?

Andrea: Hallo auch, und danke für die Möglichkeit hier meine Meinung zu äußern. Warum das ein Tabu ist? Wahrscheinlich genau darum, warum auch die katholische Kirche Probleme hat über sexuellen Missbrauch von Kindern durch Geistliche zu sprechen. Sie haben Angst ihre "Kunden" zu verlieren. Nur über das Sexbusiness wird viel lieber berichtet. Fotos mit sexy Frauen steigern eher die Auflage, als das Foto eines alten Pfarrers. Meiner Meinung nach trägt die überwiegend negative Berichterstattung, nein, überwiegend populistische Berichterstattung wesentlich dazu bei, dass das Thema Menschenhandel in der Branche tabuisiert wird.

KODEX: Andrea, hast Du denn Angst Kunden zu verlieren?

Andrea: Ach wo, weder im Live-Cam-Chat, noch wenn ich bezahlten Sex habe ist Menschenhandel ein häufiges Thema. Aber es kommt schon vor, dass mich meine Kunden darauf ansprechen. Ich krieg ja auch nur das mit, was in der Zeitung steht, und die sagen Menschenhandel ist voll am Steigen. Ob das stimmt weiß ich nicht.

KODEX: Was antwortest Du deinen Kunden, wenn sie Dich danch fragen?

Andrea: Gute Frage! Ich sag ihnen ehrlich dass es das gibt. Ich sowas aber noch nicht erlebt habe. Und zu dem was in der Zeitung steht denke ich, dass man nicht von vornherein alles glauben sollte was da steht. Ich mein, wir haben doch bestimmt eine Behörde, die das untersucht hat, und da würde ich mich erst mal schlau machen.

KODEX: Ist Menschenhandel ein Thema, dass Du mit deinen Kolleginnen diskutierst?

Andrea: Na ja, nicht so direkt. In dem Klub in dem ich vorher gearbeitet habe, da wurde öfter darüber gesprochen, weil der Klubbetreiber so ein ganz korrekter war. Der wollte beim Bewerbungsgespräch wissen, ob ich das freiwillig mache und ob ich mit einem Mann zusammen bin, dem ich mein Geld gebe.

KODEX: Und darüber hast Du mit deinen Kolleginnen gesprochen?

Andrea: Ja genau. Erst dachte ich, was ist denn das für einer? Aber meine Kolleginnen sagten dass er hier so was nicht duldet. Der kam sogar in unseren Aufenthaltsraum und hat uns einen Vortrag über Zuhälterei und Menschenhandel gehalten. Im Nachhinein muss ich sagen, dass das echt interessant war und wir Mädels uns da richtig wohl fühlten. Das war aber bisher der einzige Klub, in dem der Betreiber darüber gesprochen hat.

KODEX: Und was haben Deine Kolleginnen dazu gesagt?

Andrea: Also eine hat erzählt, dass in einem anderen Laden sie überhaupt nicht über solche Themen sprechen sollten, weil dass die Stimmung nur runterzieht. Da war das echt ein Tabu. Hier jetzt zum Beispiel, da können wir Mädels unter uns darüber reden, aber unsere Betreiberin interessiert das überhaupt nicht. Ich war mal in einem Laufhaus, da war eine Kollegin, die kam aus Rumänien oder so, die hat immer zu gemacht, wenn ich sie angesprochen habe. Das fand ich schon irgendwie komisch, aber eine andere Kollegin meinte, ich solle mich nicht weiter drum kümmern. Das habe ich dann auch nicht getan.

KODEX: Was hast Du denn dabei gedacht?

Andrea: Hm, Ja also da war das mit dem Betreiber, der uns den Vortrag gehalten hat schon besser. Ich meine damit, dass wenn der Betrieb gleich von Anfang an offen mit dem Thema umgeht, dann hätte ich vielleicht den Betreiber darauf angesprochen oder zumindest mit anderen Kolleginnen noch darüber gesprochen.

KODEX: Was sollte sich ändern, damit Menschenhandel nicht tabuisiert wird?

Andrea: So wie das in dem Laden war, von dem ich gesprochen hatte. Ich meine gerade jetzt, wo wir immer mehr ausländische Kolleginnen haben, wo du nicht weißt, wieso die den Job machen und ob da jemand hinter steht, da sollte es klare Regeln im Betrieb geben. Ich mein für alles andere gibt’s Regeln. Wie heißt es immer so schön „der Fisch fängt am Kopf an zu stinken“. Also müssen die Betreiber was tun, auch hier wo wir Mädels unsere Web-Cam Geschichte machen.

KODEX: Andrea, wir haben Dir ja den KODEX vorgestellt, was hälst Du davon?

Andrea: Also wenn da alle Klubs mitmachen, dann ist das ‘ne gute Sache. Ich denke mal, dass muss sich erst mal rumsprechen. Die kleine Karte zum Beispiel, die ist echt geil. Ja und der Flyer, dem ich meinem Kunden nach unserem, na du weißt schon was ich meine, gegeben habe. Der hat erst wie ein Auto gekuckt, aber hinterher meine er, dass wir hier ja richtig professionell sind und er gerne wiederkommt. Das macht einen schon Stolz. Wir Kolleginnen sind uns da einig, wenn alle Klubs da mitmachen, dann werden es die Typen, die Frauen zwingen in Zukunft viel schwerer haben sie in Klubs einzuschleusen.

KODEX: Andrea, gibt es noch etwas, was Du unbedingt loswerden möchtest?

Andrea: Ja, ich hätte da auch noch eine Frage. Wie wollt ihr sicherstellen, dass es euch auch noch nächstes Jahr gibt?

KODEX: Der Kodex ist ja keine staatlich finanzierte Organisation. Wir müssen genau wie Du um Kunden werben. Und unsere Partner machen nur dann beim Kodex mit, wenn die Leistung stimmt. Wenn Du Andrea in einem neuen Klub anfängst, der noch kein Kodex-Partner ist, dann wäre es klasse, wenn Du ihn auf den Kodex aufmerksam machen würdest.
So Andrea, wir sind am Ende angekommen. Vielen Dank für Deine offenen Worte und gute Geschäfte.

Andrea: Das werde ich, und viel Erfolg bei eurer Arbeit.